„Da gibt es uralte Gewölbekeller in Offenbach,

tief unter der Erde

und halb verfallen…“

Mit diesen Worten hat vor längerer Zeit mal jemand meine Fantasie in Fahrt gebracht und ich stellte mir vor, dass es viele, viele Meter unter meinen Füssen eine Parallelwelt gibt, deren bildhafte Vorstellung gespeist wurde aus Piranesis Carceri und den Behausungen der Orks aus Herr der Ringe. Als mir schließlich auch noch erzählt wurde, in einem dieser Gewölbe würde jemand Pilze züchten, die er dann auf dem Offenbacher Wochenmarkt verkauft, war die Lunte gelegt.

So weit weg von meiner Vorstellung war dann der „Pilzkeller“ von Mathias Kroll tatsächlich nicht, – nur freundlicher.

Pilzzucht, Mathias Kroll

Es gibt dort keine Orks, sondern äußerst schmackhafte Edelpilze und einen leidenschaftlichen Ziehvater. Die unerwünschtesten Wesen hier unten sind aus der Sicht eines Pilzezüchters nur gelegentliche Nacktschnecken und vielleicht Geister, – aber dazu später.

Pilzzucht, Kellerraum

Die Magie des Ortes ist dennoch spürbar. 100 Jahre alt sind die Gewölbe, die ursprünglich der Einlagerung von Eis dienten, das im Winter vom zugefrorenen Main hergeschafft und mit einem Flaschenzug 12 Meter durch einen Schacht in die Tiefe befördert wurde.

Mathias Kroll hat sich mittlerweile an die Temperatur von etwa 12 °C gewöhnt und wenn andere eine Jacke brauchen, reicht ihm ein T-shirt. Er rumpelt mit einem Wagen durch die Gänge, füllt die Regale mit neuen Pilzsubstratblöcken, transportiert Verbrauchtes ab und fährt Kisten mit geernteten Pilzen zum Schacht.

Pilzzucht Gewölbekeller
Pilzzucht Gewölbe
Pilzzucht Gewölbeschacht

Seit 2012 gibt es die Pilzzucht, aber zwischen Eiskeller und Pilzen erlebte das Gewölbe noch andere spannende Zeiten. Nach einer Nutzung als Apfelweinlager wurde der Ort in den 50iger Jahren erst zu einem Jazzkeller und später zum Beat-Club K51. Mitte der 90iger Jahre musste der Club offiziell aus Brandschutzgründen schließen. Es gibt aber auch die Geschichte eines Mannes, der zu Club-Zeiten hier erschossen worden sein soll, erzählt Mathias Kroll. Das ist ziemlich spooky und wenn er den Karren mit den frischen Pilzen mit lautem Getöse um die Ecke fährt, dann vielleicht auch, um böse Geister zu vertreiben.

Pilzzucht, Substrate

Den Pilzen macht das alles nichts aus. Sie wachsen gut gepflegt aus den Substratblöcken.

Pilzzucht, Substrate

Pilzsubstrate bestehen aus Sägemehl und manchmal etwas Getreide. Das Gemisch wird als Block verschweißt und bei hoher Temperatur sterilisiert. Dann wird mit einem Spieß das Pilzmyzel eingebracht.

In diesem Zustand bezieht Mathias Kroll seine Bio-Substrate von einem Händler und beginnt die Zucht in zunächst verschlossenen Beuteln. Nach einer Weile werden die Beutel aufgeschnitten und die Pilze wachsen Richtung Sauerstoff und Licht.

1 bis 4 Wochen dauert diese Wachstumsphase je nach Pilzsorte bis geerntet werden kann.

Pilzzucht, Substrate
Shiitake

Sieben Edelpilze wachsen im krollschen Untergrund in Offenbach.

Shiitake, Maitake, Shimeji, Nameko, Kräuterseitling, Samthaube und Friseepilz.

Der asiatische Speise- und Heilpilz Shiitake auf dem oberen Bild ist mittlerweile vielen bekannt. Andere asiatische Pilze wie Nameko und Shimeji sind sicher noch nicht so vertraut. Der deutsche Name Goldkäppchen für Nameko und Buchenpilz für Shimeji hilft, Berührungsängste zu überwinden. In China und Japan sind diese Pilze schon seit mehreren tausend Jahren als Heil- und Speisepilze bekannt.

Shiitake

Shiitake
Shiitake
Shiitake

Die Heilwirkung von Shiitake ist wissenschaftlich nachgewiesen. Der Pilz wirkt blutdruckregulierend, cholesterinsenkend und stärkt das Immunsystem. In Japan und China wird er gegen Entzündungen, Magenbeschwerden, Durchblutungsstörungen, Kopfschmerzen, Tinnitus und Schwindelgefühle eingesetzt. Sogar Tumorerkrankungen, Leberzirrhose und Arteriosklerose werden von seinen Wirkstoffen heilend beeinflusst.

Shiitake verbessert die Leberfunktion und wirkt allgemein aufbauend und stärkend bei Erschöpfungs- und Müdigkeitszuständen.

Shiitake

Doch bei all diesen wunderbaren Eigenschaften als Heilpilz ist er durch seine Umami-Eigenschaften ein geschmacklicher Überflieger. Umami ist als weitere Geschmacksrichtung zu süß, sauer, bitter und salzig anerkannt. Es bezeichnet einen Geschmack der mit fleischig herzhaft zu umschreiben ist.

Maitake (Klapperschwamm/Laubporling)

Maitake

Der in Asien als Delikatesse geltende Pilz senkt die Cholesterinwerte und wirkt der Einlagerung von Fett in die Körperzellen entgegen.

Mehr über diesen spannenden Pilz ist hier zu lesen.

Maitake in Kokosmilch mit Kartoffelbällchen

Maitakegericht
Maitake
Pilzzucht, Mathias Kroll

In der Mykotherapie (Therapie mit Pilzen) werden die Pilze auch in Pulverform in Kapseln als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen. Dadurch sind höhere Dosierungen möglich. Mathias Kroll trocknet einen Teil seiner Pilze in einem Umluftdörrschrank. Shiitake braucht zum schonenden Trocknen bei 30 °C  drei Tage. Danach werden die Trockenpilze pulverisiert und verkapselt.

Feinschmecker und Heilungssuchende finden also beide bei ihm echte Schätze. Ich selbst kenne die Vermischung von Heilung und Ernährung aus der ayurvedischen Ernährungslehre, in der diese Doppeleigenschaften der Lebensmittel und Gewürze besonders betont werden. Auch in unserem Kulturkreis sind die positiven Wirkungen vieler Kräuter und Gemüsesorten seit Jahrhunderten bekannt. Ich finde aber, dass immer weniger Menschen bewusst ist, dass die Nahrung in ihrem Körper nicht nur einen sättigenden Effekt hat und sich auf ein paar Vitamine und Mineralstoffe reduzieren lässt. Stattdessen werden Nahrung und Heilung bzw. Krankheit immer mehr getrennt gesehen.

Pilzzucht, Buchenpilz
Pilzzucht, Mathias Kroll

Weißer Buchenpilz (Bunapi-Shimeji)

Buchenpilze
Buchenpilze
Pilzzucht, Mathias Kroll
Pilzzucht, Buchenpilze
Buchenpilze
Buchenpilze

Kräuterseitling

Pilzzucht, Mathias Kroll
Pilzzucht, Kraeuterseitlinge ernten
Kraeuterseitling

Der Kräuterseitling (pleurotus eryngii) kommt aus Europa und wächst gerne als Schmarotzer auf den Wurzeln von Kräutern wie zum Beispiel Feld-Mannstreu. Daher hat er den Namen Kräuterseitling, und nicht, weil er etwa nach Kräutern schmeckt.

Man kennt diesen kalorienarmen Pilz auch unter dem Namen Königsausternpilz, denn er ist mit dem Austernpilz verwandt, der allerdings äußerlich völlig anders aussieht. Er gehört zur Familie der Seitlingsverwandten.

Seine steinpilzartige, feste Konsistent, die er auch beim Garen beibehält, macht ihn zu einem vielseitig einsetzbaren Speisepilz. Er ist in allen Teilen verwendbar und schmeckt fein aromatisch.

Alle Garmethoden sind möglich, auch Grillen. Ausserdem kann er roh gegessen werden.

Er it ballaststoffreich, enthält viel Eiweiß und Mineralstoffe sowie die Vitamine B1, B2, B3, B5, B7, C und D. Damit ist er eine wertvolle Nahrungsquelle für Veganer und Vegetarier.

Für die Zubereitung sollte man die Kräuterseitlinge nur mit einer Bürste oder einem Tuch putzen. Sie lassen sich im Kühlschrank bis zu 10 Tagen aufbewahren. Geputzt und geschnitten kann man diese Pilze auch bis zu 8 Monaten einfrieren. Wenn sie dann verwendet werden sollen, bitte nicht auftauen, sondern gefroren beim Kochen hinzufügen.

Kräuterseitlingrisotto

Kraeuterseitlingrisotto
Kraeuterseitlinge

Nameko (Goldköpfchen/japanisches Stockschwämmchen)

Goldköpfchen
Goldköpfchen

Dieser asiatischer Pilz ist eine echte Herausforderung für europäische Köche. Er ist überzogen von einer stärkeähnliche Schicht, die ihn untauglich zum Braten in der Pfanne macht. Die schleimigen Eigenschaften sind für unseren Geschmack ungewohnt. Der Pilz ist aber ein guter Soßenbinder und lässt sich gemeinsam mit anderen Pilzen zubereiten. In Japan wird Nameko in der Misosuppe gegessen, zu Soba (Buchweizennudeln) oder in Nahemono (Eintopf) gereicht.

Nameko ist der einzige Pilz im Pilzgewölbe von Mathias Kroll, der ein-zweimal am Tag mit Wasser abgespritzt werden muss.

Samthaube (Pioppino)

Samthaube

Samthauben oder Pioppino waren in Italien als Speisepilz schon im antiken Rom bekannt.

Der Pilz wächst in der Toskana als Holzzersetzer auf Pappeln, Ulmen und Holunder. Aber auch in Deutschland findet man Samthauben in den wärmeren Regionen der Weinanbaugebiete. Zunehmend wird dieser Edelpilz in Pilzzuchtbetrieben kultiviert.

Der Pioppino ist reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Kohlehydraten, aber kalorienarm. Außerdem produziert der Pilz ein besonderes extrazelluläres Enzym, was einzigartig ist.

Die Zubereitung ist unkompliziert. Man kann ihn braten, kochen und backen, wobei er auch nach dem Garen noch knackig bleibt. Er ist ebenfalls roh im Salat verwendbar.

Bei einer Kühlung von 2° – 4° ist der Pilz bis zu einer Woche nach der Ernte haltbar.

Samthauben mit Muskatnudeln und Petersiliensoße

Edelpilze mit Nudeln

Friseepilz (Igelstachelbart)

Friseepilz

Dies ist der Freak unter den Pilzen hier im Keller. Als ich ihn das erste mal sah, traute ich meinen Augen nicht. Und so wie das Gewölbe Bilder erzeugt für skurrile Katakomben-Fantasien, liefert der Friseepilz beim nahen Betrachten Kulissen für Ausflüge in eine imaginäre Unterwasserwelt oder einen fremden Planeten.

Friseepilz
Friseepilz
Friseepilz
Friseepilz
Friseepilz

Dieses bizarre Gebilde ist ein Pilz von hohem gesundheitlichen Wert. In der Chinesischen Medizin wird er seit vielen Jahrhunderten verwendet, um den Organismus zu harmonisieren. Er hilft gegen Beschwerden des Magen-Darm-Traktes und hat stimmungsaufhellende Eigenschaften. Auch dieser Pilz wird von Mathias Kroll zu Kapseln verarbeitet.

In der Küche lässt er sich braten, dünsten oder roh im Salat verarbeiten.

Friseepilz
Pilzzucht, Mathias Kroll und der Koch
Pilzpfanne

Der Koch Christian macht mit Mathias Offenbacher Pilzpfanne. Eine bessere Gelegenheit gibt es wohl nicht, den Stand auf dem Offenbacher Wochenmarkt zu besuchen und die Pilze zu probieren.

Samstags bis 14 Uhr, Wilhelmsplatz, Offenbach am Main.

http://kroll-pilze.de

Gewölbetreppe